Gotteshaus und „Bauernburg“
Wehrhafte Kirche zu Ellingshausen mit Gaden – Um- und Neubau 1776
Ellingshausen. Die Kirche des Ortes gehört zusammen mit den Sakralbauten in Rohr, Obermaßfeld, Einhausen, Belrieth, Vachdorf und Leutersdorf zur Kette wehrhafter Kirchen im mittleren Werragebiet, deren Errichtung und Hauptbedeutung im 15. und 16. Jh. anzusetzen sind. Die „Bauernburgen“ im südthüringisch-fränkischen Raum sind von den Grundstrukturen her einander ähnlich, obwohl eine jede Anlage hinsichtlich Entstehung und Bausubstanz ihre charakteristischen Besonderheiten hat. Gemeinsam ist ihnen der Defensivcharakter. Nicht ständig bewohnt, waren sie in Kriegs- und Notzeiten einzige feste Zufluchtsstätte der Dorfbevölkerung.
Den Hauptschutz der in der Regel selbst nicht befestigten Kirche stellte eine mancherorts bis zu 8 Meter hohe, einfache, bei stärker befestigten Komplexen mit Schießscharten und an der Innenseite umlaufenden Wehrgängen versehene Mauer (z. B. Rohr, Walldorf) dar. Teilweise war dieser eine etwas niedrigere Zwinger-mauer (vgl. Vachdorf) vorgelagert, in Einzelfällen zusätzlich noch ein Wassergraben vorhanden (Milz, Queienfeld). Ein mehrgeschossiger Torturm sicherte den einzigen Zugang zum Kirchhof. An der Mauerinnenseite befanden sich sogenannte Gaden, kleine und meist unterkellerte Speicher, in denen Futtervorräte, Getreide und in Gefahrenzeiten auch das wichtigste Hab und Gut der Bauern untergebracht waren. Jedem Hauseigentümer stand ein solcher Gaden zu, wie das die noch fast geschlossen erhaltenen Ladenringe in Belrieth und in Leutersdorf eindrucksvoll dokumentieren.
Feudalburg – Bauernburg
Vermutlich im Zusammenhang mit dem Aussterben der Herren von EIlingshausen im 14. Jahrhundert, spätestens jedoch im 15. Jahrhundert, wurde der umwehrte Burghof den Bauern des Dorfes von der Landesherrschaft mit der Maßgabe überlassen, sie zu einer wehrhaften Anlage auszubauen, die sie in die Lage versetzte, in Gefahrenzeiten ihr Leben und ihr wichtigstes Hab und Gut zu schützen und zu verteidigen. Der Wohn- und Wirtschaftsteil der Burg sowie die Ländereien und andere Zugehörungen dagegen verblieben in landesherrlichem Besitz und wurden weiter verlehnt.
Urkundliche Belege darüber fehlen zwar; ähnliche Vorgänge sind jedoch für verschiedene benachbarte wehrhafte Anlagen nachweisbar, so unter anderem auch für Belrieth. In beiden Dörfern befinden sich deshalb die ehemaligen Gutsgebäude direkt neben dem umwehrten Kirchenbezirk.
Die vor allem im Norden, im Osten oberhalb des Mühlgrabens und am künstlichen Halsgraben im Süden (Mühlgasse) noch gut erhaltene Wehrmauer der Ellingshäuser Anlage ist also in ihrer Grundsubstanz, wie auch der in das 1604/05 neu erbaute kleine Landschloß mit einbezogene Wehr- und Wohnturm, Oberrest einer im 12./13. Jh. errichteten bescheidenen Niederungsburg. Der nach wie vor einzige Zugang zum Kirchhof dagegen ist völlig neutral und hat seinen wehrhaften Charakter eingebüßt.
Bauliche Beschaffenheit
Ein Bauknick in der an den Eingang anschließenden Mauer und die im Gegensatz zum sonstigen Bruchsteinmauerwerk ausschließliche Verwendung sorgfältig behauener großer Steine bezeichnet Veränderungen größeren Ausmaßes. Hier ist die mittelalterliche Substanz gestört und der ursprüngliche Mauerverlauf nur noch annähernd rekonstruierbar. Da diese Steine offensichtlich von einem stattlichen Gebäude stammen müssen, spricht viel dafür, daß es sich um Abbruchmaterial vom sogenannten Unteren Schloß handelt und daß diese Baumaßnahmen vermutlich in der 1. Hälfte des 19. Jahrhundert erfolgten. Wahrscheinlich wurde damals auch der Torturm beseitigt, welcher denen der Anlagen in Obermaßfeld und Einhausen geglichen haben könnte. Er hat wahrscheinlich auch wie dort in direktem Zusammenhang mit der alten Schule gestanden, die sich bis zum Ende des 19. Jahrhundert im Kirchhof befand. Die Version, daß die ganze Anlage ehedem von einem Graben umgeben war, der in Gefahrenzeiten mit Wasser aus der Hasel gefüllt werden konnte, ist aufgrund der hängigen Geländesituation kaum wahrscheinlich und nur im Osten auf den von ihr abgezweigten Mühlgraben zutreffend. Logischer wäre es, wenn überhaupt ein Graben vorhanden gewesen sein sollte, seine Wasserzuführung aus der den Schloßbrunnen speisenden Quelle anzunehmen.
Gaden waren vorhanden
Auch der Ellingshäuser Kirchhof war ehedem mit Gaden bebaut, von denen zwei (heute Standort der „Winterkirche“ und der Leichenhalle) bis in die 50er Jahre unseres Jahrhunderts noch vorhanden waren. Sie müssen teilweise unterkellert gewesen sein, denn einige Keller sind noch erhalten. Deren Zugänge wurden jedoch aus praktischen Gründen spätestens im frühen 19. Jahrhundert aus dem Kirchhof hinaus verlegt, indem man von außen Eingänge in die Wehrmauer brach. Auch das auf älteren Ortsansichten an der Ostmauer noch sichtbare malerische Häuschen mit steinernem Untergeschoß und Fachwerkaufbau entstand erst in diesem Zusammenhang. Sein noch erhaltener großer Keller gehört zu jenem Gaden, an dessen Stelle sich heute die kleine „Winterkirche“ befindet.
Die »neue« Kirche
Die jetzige Kirche entstand durch Um- und teilweisen Neubau 1775/76. Vom Aussehen der Vorläuferbauten ist nichts überliefert. Durchaus denkbar ist, daß auch die Ellingshäuser Bauern, wie dies die Belriether Dorfnachbarn nachweislich taten, eine schon im Burghof stehende Kapelle zur Dorfkirche umbauten. Die mehrfach geäußerte Vermutung, das tonnengewölbte Unterschoß des in das Schloß einbezogenen Turms habe ehedem als Burgkapelle gedient, kann sich, allein schon aus Platzgründen, höchstens auf die früheste Zeit seiner Nutzung als kombinierter Wohn- und Wehrturm beziehen.
Gemauerte mittelalterliche Gewölbe symbolisieren nicht ausschließlich eine sakrale Nutzung, sondern sind die übliche Art, Raumformen, auch Turmgeschosse, zu überdecken. Auch die Tatsache, daß sich bis 1894 das Oberteil des Epitaphs für Hans und Elisabeth von Bose in diesem Raum befand, ist letztlich kein Beweis. Darauf wird später noch eingegangen werden.
Grabstein von 1573
Der älteste heute noch in der Kirche befindliche Grabstein für den 1573 verstorbenen Raban von Herda hat aller Wahrscheinlichkeit nach schon immer hier seinen Platz gehabt, wie auch besagter, nach 1603 errichteter Bosescher Epitaph. Das mag widersprüchlich klingen, wenn man wie bisher angenommen, von einem Kirchenneubau 1775/76 ausgeht.
Anläßlich der Reparatur und Neubeschieferung des Kirchturms im Jahre 1988 wurden auch Wetterfahne und Turmknopf einer Restaurierung unterzogen und die dort in einer Blechkapsel eingeschlossenen, gut erhaltenen Schriftstücke gesichtet und ausgewertet. Sie dokumentieren die Baumaßnahmen 1775/76 und Reparaturen von 1859, 1873 und 1926. Da die alte Ortschronik des Dorfes seit Jahrzehnten verschollen ist, sind diese Informationen teilweise wertvolle Ergänzung des bisher bekannten.
Das älteste, 1776 in den Knauf eingelegte Schriftstück vermeldet u.a.: „Weilen die Alte Kirche, welche … anno 1598 erbaut, sehr baufällig, auch ohne Thurm, und Vor die Inwohner und Nachbarschaft, Viel zu klein und zu enge gewesen ist. So hat Hochadeliche Gerichts Herrschaft, auf Betrieb der Gemeinde Nachbarn alhier, …, es endlich dahin bewürcket… den Kirch und Thurm Bau Vorzunehmen“. Aus der Beschreibung kann man rekonstruieren, daß es sich um einen eingeschossigen und turmlosen Bau gehandelt hat. Da in den ebenfalls erhaltenen Baurechnungen das Auslagern der Glocken und einer Turmuhr erwähnt wird, muß die Kirche aber anstelle eines Turms zumindest einen kleinen Dachreiter besessen haben.
Heimische Handwerker
Die meisten Arbeiten wurden 1775/76 von Handwerkern benachbarter Orte ausgeführt, so die Zimmermannsarbeiten von Johann Caspar Hanf aus Belrieth, die Maurerarbeiten von Johann Martin und Johann Peter Höfer aus Leutersdorf und die Schieferdeckerarbeiten am Turm von Johann Conrad Dreysigacker aus Walldorf. Ein kleiner, in Eile beschriebener und vermutlich kurz vor dem Schließen des Turmknaufs noch hineingelegter Zettel vermeldet, daß dieser von den Meistern Johann Conrad Eckoldt und Johann August Hauptsud und dem Lehrknaben Johann Stephan Eckoldt im Jahre 1775 verfertigt worden ist.
Dem Kenner Alt-Meininger Namen werden die eben genannten nicht fremd sein, denn die Eckoldts übten über Jahrhunderte hinweg das Kupferschmiede- und Klempnerhandwerk in der Residenzstadt aus. So berichtet J. S. Güth in seiner Meininger Chronik, daß 1667 „der grosse Knopff vom hiesigen Kirch-Thurm neben dreyen kleineren genommen und vom hiesigen Kupffer-Schmied Jeremias Eckolden wieder außgebessert“ wurde, und Meister Johann Conradt Eckold war es gewesen, der den 1690 auf den Glockenspielturm über dem Südflügel des Schlosses Elisabethenburg gesetzten Turmknauf gefertigt hatte. – Aus Ellingshausen waren der Maurer Johann Caspar Holland, der Schmied Johann Valentin Eckel und der Schreiner Johannes Mößler beteiligt. Letzterer fertigte auch das Kirchengestühl, die beiden heute noch bestehenden Eingangstüren sowie die Sakristeitür.
Chor blieb erhalten
Im oben erwähnten Schreiben wird weiter berichtet, daß am 27. April 1775 mit dem Einlegen des Daches und der Mauer, „so auf der rechten Seite (Südseite) zersprungen“, begonnen wurde. Aus den Darlegungen geht aber auch eindeutig hervor, daß große Teile des Mauerwerks stehenblieben, darunter auch der Chor der alten Kirche, wovon das (jetzt vermauerte) Fenster auf der Ostseite zeugt.
Zumindest der hintere Teil des fast ebenerdigen Gruftanbaus an der Nordwand scheint, wie die Wand selbst, ebenfalls noch aus der Zeit des Vorgängerbaus zu stammen. Eine dort befindliche, jetzt vermauerte Innentür hat vermutlich in das ehemalige Kirchenschiff geführt, der Überlieferung nach jedoch in eine unter der Kirche (dem Chor?) liegende ältere Gruft, über deren Existenz allerdings nichts Näheres bekannt ist. Die 1677 datierte Wappentafel über dem jetzigen Grufteingang mit dem Doppelwappen des Georg Christian von Bose und seiner Frau Eva Dorothea, geb. von Diemar, könnte, wenn sie nicht von einem anderen Standort hierher verbracht wurde, das Jahr der Grufterweiterung bezeichnen.
Kirche vergrößert
Insgesamt ist die Kirche nach Westen um 8 Schuh (ca. 2,50 Meter) verlängert und um 9 Schuh (ca. 2,80 Meter) höher gebaut worden. Neu errichtet wurden die Westfassade mit dem jetzigen Haupteingang, über dem sich, durch den Vorbau etwas verdeckt, die Zahl 1776 befindet, ebenso große Teile der Südwand mit den dominierenden Rechteckfenstern,deren einer Sturz die gleiche Jahreszahl aufweist, sowie der Dachturm über dem Chor und die Sakristei im Norden.
Vom alten Bau übernommen und nach dem Umbau wieder eingefügt wurde auch das Turmuhrwerk, welches demnach aus dem 17. oder dem frühen 18. Jh. stammen muß. Im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinden, die ihre historischen Turmuhren in den vergangenen Jahren beseitigten und durch pflegeleichte moderne elektronische ersetzten, dürfte in Ellingshausen eines der ältesten Uhrwerke der Umgegend erhalten geblieben sein. In Gang gehalten von einem schweren Steingewicht, zeigt es nach wie vor getreulich Zeit und Stunde an. Es muß allerdings täglich aufgezogen werden.
Erster Gottesdienst
Am 27. August 1776 fand erstmals wieder Gottesdienst in der „neuen“ Kirche statt. Den Festgottesdienst hielt der 64jährige Pfarrer zu Obermaßfeld und Ellingshausen Johann Ludwig Walch, dem seit 1768 der aus Vachdorf gebürtige Johann Martin Otto substituiert war. Schulmeister war Caspar Adam Mittelsdörffer, Schultheiß Johann Georg Henckel, Kirchenältester Friedrich Wilhelm Keydel.
»Zeiten beßer werden«
Dem Gemeindevorsteher Johann Caspar Berger, der auch die Kirchenrechnungen führte und vermutlich auch die erste Urkunde für den Turmknauf verfertigte, verdanken wir all diese Nachrichten über die großen finanziellen und materiellen Anstrengungen der damals insgesamt einschl. Gutsherrschaft und Gesinde 193 Personen umfassenden Gemeinde Ellingshausen. Er schließt mit dem Wunsche, „daß die nun folgenden Zeiten beßer werden, und Friede und Gerechtigkeit, in Zeitlich und ewigen Absichten, sich Küßen, und hier in Schwange gehen mögen.“ Dem ist, über 200 Jahre später, kaum etwas hinzuzufügen.
Quelle:
„Meininger Heimatklänge“, Jahrgang 1995, Ausgabe 9. Erschienen als Beilage zum „Meininger Tageblatt“
Text & Fotos(3): Ingrid Reißland, Ellingshausen
